Übersicht:


Einleitung

Warum brauchen wir Veränderungen an unseren Hochschulen?

In Zeiten, in denen globale und lokale Herausforderungen wie die Klimakrise, das voranschreitende Artensterben, soziale Ungleichheiten oder ungleiche Bildungschancen zunehmen, fordern wir ein Umdenken an den Hochschulen in Baden-Württemberg.

Eine Ausrichtung von Lehre, Forschung, Betrieb, Transfer und Governance in den Hochschulen am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung ist in unseren Augen mehr als notwendig. Hochschulen müssen ihrer Vorbildfunktion gerecht werden, die benötigte gesamtgesellschaftliche Veränderung vorleben und Fachkräfte und Entscheidungsträger*innen von morgen zu "Change-Makern" ausbilden

Das Forderungspapier richtet sich an alle Hochschulangehörigen, an die Landesregierung und wissenschaftspolitische Akteur*innen auf Landesebene sowie die Partner*innen der Hochschulen (z. B. Studierendenwerke).

Wer sind wir?

Die nachfolgenden Forderungen wurden von einer Arbeitsgruppe innerhalb des Organisationsteams der "Nachhaltigkeitswochen @ Hochschulen BaWü 2021" verfasst. Hierbei handelt es sich um eine interdisziplinäre Gruppe von Studierenden verschiedener Hochschulen und Hochschularten, welche in einem Zeitraum von rund drei Monaten kollaborativ ihre nachhaltigkeitsbezogene Expertise und ihre hochschulpolitische Erfahrung sowie die Ergebnisse ihrer Recherche in dieses Werk hat einfließen lassen, um so das Format der Nachhaltigkeitswochen abzurunden.

Was ist unser Ziel?

Wir wollen mit diesem Forderungspapier Veränderungen anregen und durch konkrete Vorschläge und Beispiele aufzeigen, wie nachhaltige Strukturen an Hochschulen umgesetzt werden können. Einige Hochschulen nehmen bereits heute eine Vorreiterrolle ein und setzen Teile der von uns geforderten Maßnahmen um. Für uns steht jedoch fest: Strukturen, die einer globalen, nachhaltigen Entwicklung gerecht werden, sowie die ethischen Diskurse darüber müssen zu einer Selbstverständlichkeit an allen Hochschulen werden.

Unsere Forderungen

Dieses Forderungspapier orientiert sich zum Teil an am Forderungskatalog "Klima und Umwelt" der Landesstudierendenvertretung Baden-Württemberg [1]. Mit diesem Dokument gehen wir allerdings noch einen Schritt weiter und fordern notwendige Maßnahmen für einen nachhaltigen und sozial verantwortlichen Alltag an Hochschulen in den Handlungsbereichen Governance, Betrieb, Lehre, Forschung sowie Transfer.

Es existieren inzwischen viele Positions- und Forderungspapiere zu Nachhaltigkeit an Hochschulen. Besonders hervorheben möchten wir an dieser Stelle das 2017 veröffentliche Positions- und Forderungspapier "Nachhaltigkeit und Ethik an Hochschulen", verfasst von den studentisch geprägten Vereinen netzwerk n e. V., sneep e. V., Weitblick e. V. und Was bildet ihr uns ein? e. V., welches uns sehr inspiriert hat. Auch wir hoffen mit unserem Engagement weiteren Gruppierungen Mut machen zu können, ihre Stimme zu erheben und aktiv zu werden!

Wie geht es weiter?

Die im Dokument dargelegten Forderungen enthalten z. T. konkrete Handlungen, die eine grobe Orientierung über unsere Mindestansprüche an eine zukunftsfähige Hochschulpolitik geben sollen. Wir betonen jedoch explizit, dass ein darüber hinausgehendes Engagement der Adressat*innen und betroffenen Akteur*innen von uns über alle Maße begrüßt wird.
Zudem dürfen und sollen unsere Forderungen von allen Beteiligten diskutiert werden. Wir sind bereit, mit allen Interessierten zu kommunizieren und gemeinsam realistische und nachhaltige Ideen sowie deren Umsetzung für die Hochschulen von morgen zu erarbeiten. Dabei ist uns selbstverständlich bewusst, dass es sich hierbei um einen demokratischen Prozess handelt, der zweifelsohne ein längerer sein wird. Je früher wir also damit beginnen, konkrete Lösungen zu konzipieren und deren Umsetzungen im Hochschulalltag zu etablieren, desto reibungsloser wird der Weg in eine ökologisch und sozial nachhaltige Zukunft an allen Hochschulen sein.

Unsere Forderungen

1. Bildung für eine nachhaltige Zukunft

1.1. 5 ECTS Pflicht / 15 ECTS Angebot mit Klimagerechtigkeitsbezug ab dem WS 2022/2023 in allen Studiengängen

Die Klimakrise betrifft jeden Bereich unseres Lebens – entsprechend sollte diese in jedem Studiengang thematisiert und diskutiert werden. Hierfür müssen entsprechende Bildungsangebote bereitgestellt und verpflichtend eingeführt werden, welche zur kritischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Fachbereich anregen. Dabei gilt es die Bedeutung und die Auswirkungen der eigenen Fachdisziplin auf die Gesellschaft und die Natur zu reflektieren und zu diskutieren.

Wir fordern, dass Lehrveranstaltungen zu Nachhaltigkeit, Klimagerechtigkeit und Reflexion mit mindestens 5 ECTS innerhalb aller Studiengänge ab dem WS 2022/23 verpflichtend für alle Studierenden eingeführt werden. Zusätzlich soll die Möglichkeit bestehen, aus einem Angebot an verschiedenen Lehrveranstaltungen mit einem Umfang von 15 ECTS pro Studiengang weitere Module mit Klimagerechtigkeitsbezug belegen zu können.

Das Angebot sollte interdisziplinär wählbar sein und möglichst perspektivenreich und intersektional behandelt werden; so sind auch Hintergründe der aktuellen Klimaungerechtigkeiten relevante Inhalte. Beispiele hierfür sind u. a. Rassismus, Klassismus, Kolonialismus, Sexismus und viele mehr.

Allen Studierenden sollte die Teilnahme an Lehrveranstaltungen zu Nachhaltigkeitsthemen, pluraler Ökonomik, sozialer Gerechtigkeit, etc. ermöglicht und mit Credits honoriert werden.

2. Sozial-ökologische Forschung

2.1. Finanzielle Unterstützung und freier Zugang zu Forschung mit Nachhaltigkeitsbezug + Transparenz der Forschungsfinanzierung

Die Hochschulen sollen ihre Forschungsbestrebungen zu den drängenden sozial ökologischen Herausforderungen deutlich ausbauen. Die Erkenntnisse der Forschung an den Hochschulen müssen außerdem öffentlich und frei zur Verfügung stehen.

Die Hochschulen müssen in ihrer Forschung Lösungskonzepte erarbeiten, die einen nationalen und internationalen Wandel zu einer Netto-Null-Gesellschaft ermöglichen. Des Weiteren müssen sie eine aktive Rolle in der Umsetzung dieser Maßnahmen einnehmen. Dies muss zwingend nicht nur in den Naturwissenschaften, sondern auch in Sozial- und Geisteswissenschaften geschehen.

Wir fordern, dass ökologisch und sozial nachhaltige Forschungsprojekte, welche einen Beitrag zur Lösung der Klimakrise leisten können, mehr gefördert und finanziell priorisiert werden. Zu diesen gehört unter anderem die Erforschung neuartiger Mobilitäts- und Energietechnologien sowie alternativer Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme. Forschungsprojekte sollen des Weiteren interdisziplinär gestaltet werden.

Um Forschung an und mit der Zivilgesellschaft zu betreiben, sind Reallabore ein wichtiges Instrument, welches direkt auf Transformationsprozesse abzielt. Dieses sollte weiter ausgebaut und mit mehr finanziellen Mitteln unterstützt werden.

Weiter fordern wir eine transparente Kommunikation bezüglich der Herkunft von Forschungsgeldern und der Verteilung an Projekten auf Lehrstühle.

3. Schaffung und Stärkung von Professuren sowie Fortbildung für alle Hochschulangestellten

3.1. Jährliche und verpflichtende Fortbildungsveranstaltungen für alle Hochschulangestellte

Um nachhaltige Lehrveranstaltungen in allen Studiengängen zu ermöglichen, sollen entsprechende Professuren neu entwickelt oder gestärkt werden. Zusätzliche Stellen müssen geschaffen oder bestehende ausgebaut werden, damit neue Lehrveranstaltungen und Abschlussarbeiten mit diesem thematischen Fokus angeboten bzw. betreut werden können.

Damit die Rahmenbedingungen für die fächerübergreifende Aufklärung geschaffen und Dozent*innen umfangreich dabei unterstützt werden, fordern wir Fortbildungen für die an der Hochschule tätigen Mitarbeiter*innen und die Hochschulleitung zu Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE). Der Besuch von mindestens einer Fortbildungsveranstaltung im Jahr sollte verpflichtend sein.

4. Unterstützung des Engagements für Klimagerechtigkeit von Studierenden

4.1. Finanzielle Unterstützung und Regelstudienzeit-Verlängerung für Nachhaltigkeitsengagement + keine Repressionen wegen politischer Beteiligung

Wir fordern, dass Studierende bei der selbstständigen Erarbeitung von Lösungsansätzen für die Klimaproblematik unterstützt werden. Das bedeutet konkret, dass Studierenden Räumlichkeiten und finanzielle Hilfen zu diesem Zweck in Anspruch nehmen können. Damit sich alle Studierenden ein solches Engagement auch finanziell "leisten können", muss Klimaschutz-Engagement ein Grund für eine Regelstudienzeit-Verlängerung sein, wodurch der Anspruch auf BAföG ebenfalls verlängert wird.

Des Weiteren sollte studentisches Nachhaltigkeitsengagement durch das Land Baden-Württemberg finanziell unterstützt werden.

Wir fordern die Anerkennung der demokratischen und persönlichen Entwicklung und Bildung, die mit der Beteiligung an Demonstrationen, mit dem Ziel, Klimagerechtigkeit zu fördern, einhergeht.

Des weiteren fordern wir eine gleichberechtigte Beteiligung von Studierenden in allen Gremien der Hochschule, die sich mit Aspekten der Nachhaltigkeit in Lehre, Forschung oder Betrieb befassen.

5. Klimafreundliche Energieversorgung

5.1. Energieverbrauch (Bedarf und Verluste) muss maximal reduziert und wenn nicht durch Eigenproduktion möglich auf Basis von erneuerbaren Energien zugekauft werden

(für PR: Emissionen durch zeitgemäße Energieversorgung senken)

Die im Hochschulbau und im Betrieb dieser Liegenschaften aufgewendete Energie verursacht mitunter den größten Emissionsposten im Hochschulbereich.

Bei den Neubaustandards der Gebäude muss die Landesbauordnung niedrige Energiestandards, idealerweise Plus-Energie-Haus-Standard und alternative, klimafreundliche Baumaterialien angemessen berücksichtigen.

Im Bereich des Energieverbrauchs gibt es eine Abstufung von Zielen nach ihrer Priorität. Das erste Ziel ist Suffizienz (die Reduktion des Energiebedarfs). Danach muss in der folgenden Reihenfolge auf die Ziele Effizienz (Reduktion von Energieverlusten), Eigenproduktion (Ausschöpfung des Potentials für die Eigenproduktion erneuerbarer Energien) und zuletzt auf den Einkauf erneuerbarer Energie gesetzt werden. Bei der eingekauften, erneuerbaren Energie muss darauf geachtet werden, dass die Vergütung dieser den Neuanlagenbau innerhalb Deutschlands finanziert und somit die Energiewende vorantreibt.

6. Nachhaltige Verpflegung muss Standard werden

6.1. Mindestens ein veganes, preiswertes Gericht pro Tag + Transparenz über THG-Emissionen + kostenloses Trinkwasser + Minimierung von Lebensmittelverschwendung

Die Verpflegung in den Mensen und Cafeterien darf sich nicht länger ausschließlich an Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ausrichten! Stattdessen fordern wir einen wissenschaftsbasierten Umgang mit dem Verpflegungsangebot an Hochschulen anhand moderner Ernährungsleitlinien auf Grundlage der aktuellen Ernährungs-, Umwelt- und Klimawissenschaft.

Damit einher geht die Forderung nach täglich mindestens einem preiswerten, gesunden und klimafreundlichen Gericht ohne tierische Bestandteile. Eine Kennzeichnung der Treibhausgasemissionen sollte zur Transparenz für alle Gerichte verpflichtend eingeführt werden, wie es auch bereits bei den Nährwertangaben der Fall ist.

An den Hochschulen sollte fairer Handel, insbesondere bei der Verpflegung, zum Standard werden. Trinkwasser sollte jederzeit kostenlos erhältlich sein, bspw. durch öffentlich zugängliche Wasserspender.

Lebensmittelreste bspw. in Mensen sollten, wenn sie nicht mehr verkaufbar, aber noch genießbar sind, kostenlos weitergegeben werden. Mehrwegsysteme für den To-Go-Verzehr von Speisen und Getränken sollten ermöglicht werden, bspw. durch ein Pfand-Pool-System.

7. Ganzheitliche Nachhaltigkeitsstrategien an Hochschulen

7.1. Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie, Verankerung von Nachhaltigkeit im Hochschul-Leitbild bis Ende WS 21/22 + Schaffung einer Monitoring-Stelle + Veröffentlichung jährlicher Nachhaltigkeitsberichte

Wir sehen die Hochschulen in der Pflicht, dazu beizutragen, dass der Zielwert zum Klimaschutz von 1,5° C eingehalten werden kann, und somit die Hochschule klimaneutral zu gestalten. Um dies zu erreichen sollten alle Hochschulen in Baden-Württemberg im WS 2021/22, falls noch nicht vorhanden, eine Nachhaltigkeitsstrategie entwickeln und diese veröffentlichen. Des Weiteren fordern wir die Verpflichtung aller Hochschulen zu einer jährlichen transparenten und nachvollziehbaren Nachhaltigkeitsberichterstattung.

Die Aktivitäten zu mehr Nachhaltigkeit an Hochschulen können am sinnvollsten in einem "Green Office" gebündelt werden – einer offiziellen Einrichtung an der Hochschule, in der Studierende und Mitarbeitende eingebunden sind und zusammenarbeiten.

Zur Erreichung der Klimaneutralität sollen die Hochschulen und Studierendenwerke vom Land Baden-Württemberg ausreichend finanziert werden. Klimaschutzmaßnahmen dürfen nicht die Grundfinanzierung der Institutionen gefährden oder mit Mehrbelastungen für Studierende einhergehen.

8. Nachhaltigkeit ernst nehmen – Suffizienz verankern

8.1. Schaffung von Räumen zur Reflexion und Bildung über suffiziente Handlungsweisen

Nachhaltigkeit ernst zu nehmen bedeutet nicht nur innovative (Effizienz) sowie umweltverträgliche (Konsistenz) Technologien zu entwickeln, sondern auch eine freiwillige Verhaltensänderung anzustreben, welche auf einen sparsamen Lebensstil abzielt (Suffizienz). Um die großen sozial-ökologischen Herausforderungen bewältigen zu können, benötigt es neben neuen Technologien auch die Reflexion des eigenen Verhaltens und Einflusses, wodurch ein nachhaltiges Wirken geschaffen werden kann.

Wir fordern deshalb, Suffizienz als essentiellen Faktor für Nachhaltigkeit an Hochschulen zu verankern, Reflektion über Konsumverhalten zu ermöglichen und Räume zur Entfaltung suffizienter Handlungsweisen zu schaffen.

i: Strategien zur Umsetzung von Nachhaltiger Entwicklung – Effizienz, Konsistenz und Suffizienz kurz erklärt

Effizenz – Dematerialisierung
Schwerpunkt: Technische Innovation
Ziel: "Mehr aus Weniger"
Kurz gesagt: Ressourcenersparnis durch effizientere Produktion
Vorteil: Sowohl ökologisch als auch ökonomisch lohnbringend
Kritikpunkt: Großer Technikoptimismus
Gefahr: Bumerangeffekt

Bedürfnisse sollen mit einem besseren Verhältnis von Input zu Output, d. h. mit verhältnismäßig geringerem investierten Arbeits-, Material- und Energieaufwand gedeckt werden. Meist wird versucht, diese Verbesserung mithilfe von technischen Innovationen zu erreichen.

Konsistenz – Naturverträglichkeit
Schwerpunkt: Umweltfreundliche Technologien
Ziel: Kreislaufwirtschaft
Kurz gesagt: "Cradle to Cradle", von der Wiege zur Wiege, nicht von der Wiege zur Bahre
Vorteil: Keine Abfälle mehr
Kritikpunkt: Echte Kreislaufwirtschaft nahezu unmöglich

Analog zum Kreislauf der Natur wird versucht, durch den Einsatz umweltfreundlicher Technologien eine Kreislaufwirtschaft zu etablieren. "Abfälle" bilden also die Rohstoffe für neue Produkte.

Suffizienz-Strategie – Selbstbegrenzung
Schwerpunkt: Freiwillige Verhaltensänderung
Ziel: Sparsamerer Lebensstil
Kurz gesagt: Genügsamkeit, freiwillige Veränderung umweltrelevanter Verhaltensmuster zur Senkung des Ressourcen- und Umweltverbrauchs
Vorteil: Kurzfristig umsetzbar, benötigt meist keine technischen Voraussetzungen
Kritik: Wird häufig als rückschrittlich oder unattraktiv empfunden
Gefahr: Übertragen der Verantwortung auf den*die Einzelne*n, auch wenn diese*r nicht zu Veränderung bereit ist

Das Verhalten soll sparsamer werden und darauf ausgerichtet sein, die notwendigen Bedürfnisse zu decken. Diese Veränderung der Verhaltensmuster soll auf der Einsicht beruhen, dass Ressourcen- und Umweltverbrauch gesenkt werden müssen. Dieser sparsame Lebensstil soll dabei aber keinen Verzicht darstellen.

Weitere Infos in:

Kropp, Ariane (2019): Grundlagen der Nachhaltigen Entwicklung. Handlungsmöglichkeiten und Strategien zur Umsetzung. S 17-22. Online verfügbar unter: https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-23072-2_7. Zuletzt aufgerufen am 14.12.20.

9. Vorleben von Nachhaltigkeit

9.1. Nachhaltigkeitstransfer als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstehen

Der Aufgabenbereich einer Hochschule endet längst nicht mehr bei Lehre und Forschung. Vielmehr müssen sich Hochschulen auch den gesellschaftlichen Herausforderungen stellen und ihren Beitrag zum Gemeinwohl leisten.

Wir fordern an den Hochschulen in Baden-Württemberg einen verstärkten Transfer mit dem Ziel, Erkenntnisse zur nachhaltigen Entwicklung in die Gesellschaft zu tragen und zugleich den Diskurs mit den "betroffenen" Bevölkerungsgruppen zu ermöglichen. Um diesen Nachhaltigkeitstransfer zu leisten, fordern wir die Hochschulen dazu auf, sich mutig zu Fragestellungen in Bezug auf eine nachhaltige Entwicklung zu positionieren und verstärkt transdisziplinäre Nachhaltigkeitsaktivitäten auf den Weg zu bringen.

10. Mobilität nachhaltig gestalten

10.1. Klimaschonendes und inklusives Mobilitätsnetz zugunsten aller Hochschulangehörigen

Mobilität muss preiswert sein. Die Hochschulstandorte sollten gut mit dem ÖPNV zu erreichen sein.

Mobilität soll allen offen stehen. Wir fordern, dass der Zugang zu Portalen, die der Planung des eigenen Mobilitätsverhaltens dienen, auch in ihren Fähigkeiten eingeschränkten Menschen offen stehen muss (Barrierefreiheit).

Mobilität soll den Studierenden und Lehrenden klimaneutrales Pendeln ermöglichen. Die Mobilität von morgen sichert die Daseinsvorsorge auch im ländlichen Raum und gewährleistet Zugang zu Bildung (an Hochschulen) für alle – inklusive der jungen Bevölkerungsgruppen auf dem Land.

Die Wege auf dem Campus und in den Innenstädten der Hochschulstandorte sollen darauf ausgerichtet sein, dass sie von den Studierenden zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden können. Wir befürworten den weiteren Ausbau von Rad(schnell)wegnetzen und unterstützen, dass in den Innenstädten Radwege ausgebaut werden. Wir fordern die Regionen dazu auf, die unterschiedlichen Verkehrsnetze besser miteinander zu verknüpfen, um allen Studierenden ein einfaches Pendeln zu ermöglichen.

Wir fordern die Hochschulen zudem auf, Möglichkeiten zum Abstellen von Fahrrädern in diebstahlsicheren und vor Witterung geschützen Bereichen zur Verfügung zu stellen.

Wir fordern das Land und die Hochschulen dazu auf, dass die Gewährleistung der Mobilität an den Hochschulstandorten und zum Erreichen von Bildungseinrichtungen mit der geringsten möglichen Flächen(neu)versiegelung einhergeht. Des Weiteren sind die mit der Mobilität verbundenen Emissionsprobleme nicht zu vergessen; hier müssen geeignete Maßnahmen zur Emissionsminderung etabliert werden.

Jede*r Einzelne ist dazu aufgefordert, das eigene Mobilitätsverhalten zu überdenken und nach Möglichkeit auf klimafreundlichere Alternativen auszuweichen.

11. Klimaneutrale Dienstreisen und Exkursionen

11.1. Kurzstreckenflüge vermeiden und Schienenpersonenverkehr fördern

Studierenden, Lehrenden und Forschenden soll ein klimaneutrales Reisen ermöglicht werden. Flüge innerhalb Deutschlands und Kurzstreckenflüge sollen vermieden werden. Dazu sollten Dienstreisen, welche mit den ÖPNV getätigt werden, finanziell von den Hochschulen unterstützt werden.

Wenn lange Dienstreisen unumgänglich sind, sollen die verursachten Emissionen als letztes Mittel durch geeignete Maßnahmen, die mindestens dem "Gold Standard" entsprechen, kompensiert werden.

Des Weiteren fordern wir dazu auf, dass Exkursionen mit dem ÖPNV bzw. dem Schienenpersonenverkehr durchgeführt werden.

12. Förderung lokaler Kreisläufe

12.1. Strukturelle Verankerung eines nachhaltigen Beschaffungswesens an Hochschulen

Hochschulen und ihre Geldgeber*innen wie z. B. die Landesregierung Baden-Württemberg müssen sich ihrer Verantwortung durch ihren hohen Materialbedarf bewusst sein und durch ein sozial- und umweltverträgliches Beschaffungswesen nachhaltige Produktionsweisen einfordern und unterstützen. Hochschulen können beispielsweise bei der Angebotswertung das Prinzip der Lebenszykluskosten anwenden. Zusätzlich sollen die Hochschulen bei der Anschaffung von Materialien auf ökologische Nachhaltigkeit achten.

Um einen klimaschonenden Materialverbrauch zu erreichen soll ein Zero-Waste-Campus angestrebt werden. Neben der Abfallreduktion muss das Recycling gefördert und einfach zugänglich gemacht werden. Dazu soll vor allem der Müll in allen Bereichen ausreichend – je nach den anfallenden "Müll"-Arten – getrennt werden.

Zusätzlich sollen lokale Kreisläufe gefördert werden, indem die Hochschulen sich an lokalen Wirtschafts- und Stoffkreisläufen innerhalb des Campus und darüber hinaus beteiligen, beziehungsweise neue schaffen. Zur Stärkung regionaler Strukturen sind besonders kurze Wege von der Erzeugung bis zur Nutzung nötig. Regionale Wirtschaftskreisläufe können durch gemeinsame Strategien von Produktion, Handel und Verbrauch in der Region aufgebaut werden.

13. Campus als Begegnungsort begreifen

13.1. Motivation zu Austauschmöglichkeiten auf Augenhöhe zwischen Hochschulangehörigen, zwischen der Hochschule und Einrichtungen öffentlicher Bildung sowie Mitgliedern aller gesellschaftlichen Cluster

Die Funktion des Hochschul-Campus als Ort für Begegnung und Austausch zwischen verschiedenen Identitäten soll ausgeweitet und gestärkt werden. Dazu zählt das gesamte Spektrum an Fachbereichen, Nationalitäten, Gesellschafts- und Einkommensgruppen und Meinungsbildern. Die Chancen auf eine zeitgemäße, empirische und neutrale Aus- und Weiterbildung sollen für alle Teilnehmer*innen des Lebens auf dem Campus gleich groß sein.

Eine umfassende Inklusion mit Möglichkeit zur Partizipation ist essentiell für eine gesellschaftliche, ökologisch und sozial nachhaltige Demokratie.

Es bedarf als konkrete Maßnahme zum einen der Schaffung ansprechender Aufenthaltsmöglichkeiten zur Ermöglichung von Begegnung und Kommunikation, sowie sozialer Fürsorge für alle Individuen des Hochschullebens (und darüber hinaus). Die gemeinsame Gestaltung einladender Aufenthaltsmöglichkeiten und interdisziplinärer Nutzungsräume stärken weiterhin die soziale und fachliche Interaktion. Des Weiteren sollte durch vermehrte Einbeziehung von Gruppen und Einrichtungen öffentlicher Bildung die intergesellschaftliche Zusammenarbeit gefördert werden.

Zudem ist der Campus lediglich als EIN einziger Akteur von vielen im gesamtgesellschaftlichen Gefüge zu verstehen, der gerade in Hinblick auf die Möglichkeiten zur Begegnung verschiedener Akteur*innen und Gruppen eine Vorbildfunktion für andere einnehmen kann.

Essentiell für das Funktionieren eines progressiven und inklusiven Begegnungsorts ist die Pflege einer verzeihenden Fehlerkultur und der Respekt vor dem Individuum. Dem teils vorherrschenden "Akademiker-Absolutismus" muss stets kritisch begegnet werden. Zur Vorbeugung elitärer, veralteter oder voreingenommener Denkweisen sollten Organe zur Beratung, Überprüfung und Vermittlung zwischen Akteur*innen oder Gruppen mit verschiedenen Interessen definiert und eingesetzt werden.

14. Campus als lebendige Labore verstehen

14.1. Förderung einer interdisziplinären, progressiven, toleranten Lehr- und Lernkultur durch Bereitstellung entsprechender Räume, Kompetenzen und Netzwerke

Die Bereitstellung von Räumlichkeiten für Co-Working ermöglicht Zusammenarbeit und Kommunikation. Synonym dafür können Begriffe wie "Ideenschmieden" oder "Labore" verwendet werden, die Perspektivwechsel ermöglichen und als reale Inspirationsquellen verstanden werden können.

Vernetzung zu und Schaffung von zukunftsrelevanten Arbeitsplätzen, bzw. Bereitstellung von Potentialen für nachhaltige Start-Ups fördern den Fortschritt in der nachhaltigen Entwicklung, aber ebenso eine nachhaltige Ökonomie. Allgemein spielen Möglichkeiten zum Experimentieren und Ausprobieren eine wesentliche Rolle.

15. "Sharing is caring!" – Gemeinschaftliche Ressourcen nutzen und fördern

15.1. Teilen von Räumlichkeiten, Fahrzeugen, Lebensmitteln, Kleidung sowie Gebrauchtgegenständen am Campus – Teilen von Wissen, Arbeitsmaterial, Medien sowie Speicherplatz im Digitalen.

Beim gemeinschaftlichen Denken, Planens und Handeln ist es naheliegend, auch Ressourcen des täglichen Lebens gemeinschaftlich zu nutzen und bereitzustellen. Hierzu gehören zum einen funktionelle Räumlichkeiten sowie Großanschaffungen in Form von Geräten, Fahrzeugen und speziellen Materialien. Neben Co-Working-Spaces, Gemeinschaftsküchen und -gärten sind an dieser Stelle auch offene Werkstätten und Labore mit dazugehörigem Lagerraum zu Forschungs-, Arbeits- und freizeitlichen Zwecken zu nennen.

Bei größeren Anschaffungen kann in einer Gemeinschaft oder einer Institution wie der Hochschule auf eine bessere Qualität geachtet werden, was oftmals bei Privatkäufen nicht möglich ist, sofern die benötigte Anschaffung für eine einzelne Person überhaupt zumutbar wäre, zumal Wartungen und Reparaturen gemeinsam ebenfalls besser finanziell oder durch das Vorhandensein von Kompetenzen fachkundig ermöglicht werden können.

Ganz ähnlich sieht es für geteilte Mittel zur Fortbewegung aus; z. B. ist die Bereitstellung von Bike- und Carsharing (Lasten- und Fahrräder, Elektro-PKWs, Transporter ...) an allen Hochschulen sinnvoll, ebenso die Integration von Wartungs- und Reparaturmöglichkeiten für Fahrräder und rudimentäre PKW-Reparaturen in die Werkstätten!

Ein weiterer Aspekt, der im Hochschulumfeld gefördert werden soll, ist das Teilen und Tauschen von Lebensmitteln; übrig gebliebene, noch bedenkenlos genießbare Mahlzeiten aus der Hochschulgastronomie und unbedenklich nach dem Mindesthaltbarkeitsdatum verzehrbare, abgepackte Lebensmittel sollten über Initiativen wie den foodsharing e. V. oder Too good to go verteilt und damit vor der sinnfreien Entsorgung bewahrt werden. Durch die Einrichtung eines Fairteilers auf dem Campus können auch privat Lebensmittel geteilt und getauscht werden.

Engagement zur Organisation von Tauschbörsen und Flohmärkten für Kleidung und gebrauchte Gegenstände des regelmäßigen Bedarfs soll durch die Hochschule gefördert werden. So wird zum einen der Wegwerfgesellschaft entgegengewirkt, zum anderen der lokale Austausch und Verkauf ohne den Umweg über den Zwischenhandel oder das Internet gestärkt.

Auch die digitale Hochschule soll in Hinblick auf das Teilen von Inhalten weiter ausgebaut werden. Die Digitalisierung der Bibliotheken an den Hochschulen ist in den vergangenen Jahren bereits der erste Schritt gewesen; nun gilt es, diese weiter voran zu treiben. Das beeinhaltet das Hinzufügen und Aktualisieren neuer Inhalte; nicht nur in Form von eBooks, bzw. ePaper und sonstigen digitalisierten Printmedien. Zusätzlich sollen Mediatheken mit Audio- und Videoinhalten, Archive und Datenbanken für studienrelevante Dokumente und Medien, sowie digitale Speichermöglichkeiten zum Teilen und Austausch von eigens erstellten Arbeitsdokumenten unter Studierenden und Mitarbeiter*innen eingerichtet werden.

16. Digitalisierung & Nachhaltigkeit zusammendenken

16.1. Chancen und Risiken des digitalen Wandelns erforschen, begreifen und ihn gestalten

Die Digitalisierung wird unsere Gesellschaft in vielen Bereichen tiefgreifend verändern. Für den sozial-ökologischen Wandel bietet die Digitalisierung viele Chancen, geht allerdings auch mit einigen Risiken einher. Wir sehen deshalb die Hochschulen in der Verantwortung, sich in Forschung und Lehre tiefgreifend mit der Rolle von Digitalisierung in einer nachhaltigen Welt zu beschäftigen und sich in ihrer eigenen Digitalisierungsstrategie an Leitprinzipien zur Nachhaltigkeit zu orientieren.

Wir schließen uns den Forderungen vom netzwerk n e. V. an, die zu Beginn der COVID-19-Pandemie sechs Forderungen zur digitalen, nachhaltigen Hochschultransformation aufgestellt haben [1]:

  1. Digitalisierung an Hochschulen demokratisch und transparent gestalten
  2. Chancen und Risiken des digitalen Wandels erforschen, begreifen und ihn gestalten
  3. Digitale Mündigkeit ermöglichen
  4. Vernetzte Bereitstellung von Wissen, um Bildung mithilfe von Digitalisierung zu verbessern
  5. Nachhaltige Beschaffung fordern und fördern
  6. IT-Sicherheit und Datenschutz an Hochschulen

Besonders hervorheben möchten wir die Umsetzung von konsequentem Datenschutz, den transparenten Umgang mit Daten sowie die Nutzung freier Software in Forschung und Lehre. Wir schließen uns der Landesstudierendenvertretung Baden-Württemberg an, die im März 2021 eine entsprechende Stellungnahme zu Datenschutz an Hochschulen veröffentlicht hat [2].

Abschlussplädoyer

Unsere insgesamt 16 Forderungspakete nehmen die sehr vielfältige Hochschullandschaft in Baden-Württemberg ganzheitlich in den Blick und zeigen die Handlungsfelder auf, in denen die verschiedenen Akteur*innen tätig werden müssen oder ihr Engagement weiter ausbauen können, um Nachhaltigkeit in ihrer Gesamtheit wirkungsvoll umzusetzen. Dabei müssen viele Maßnahmen ineinandergreifen und auf allen Ebenen Veränderungen vorangebracht werden - von den gesetzlichen Rahmenbedingungen bis hin zum individuellen Handeln im Alltag jedes einzelnen Menschen.

Die Studierenden in Baden-Württemberg und deren Initiativen tragen mit den Nachhaltigkeitswochen @ Hochschulen BaWü 2021 und den hier artikulierten Forderungen, welche über den Veranstaltungszeitraum hinaus Strahlkraft entfalten sowie als Arbeitsgrundlage und Argumentationshilfe dienen, ihren Teil zur Bildung für nachhaltige Entwicklung und zur Transformation der Hochschulen bei und schauen dabei optimistisch und motiviert in die Zukunft getreu dem Motto

gemeinsam. digital. nachhaltig


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