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Schreiben an die Landesrektor*innenkonferenz: 


Sehr geehrte Rektoren und Rektorinnen des Landes Baden-Württemberg, 

das Frühjahrs- Sommersemester neigt sich dem Ende zu. Corona bestimmt unser Leben und damit auch unser Studierendenleben weiterhin. Mit diesem Schreiben möchten wir den direkten Kontakt zu Ihnen suchen, um aufgetretene Probleme durch die Pandemie in Bezug auf die Prüfungsphase des vergangenen Semesters anzusprechen. Wir erhoffen uns, dass wir gemeinsam in Baden-Württemberg Lösungen für all unsere Universitäten und Hochschulen finden, die mindestens für die kommenden von Corona beeinträchtigten Semester, wenn möglich aber auch rückwirkend für das Frühjahrs- Sommersemester 2020, gelten. 

Das Frühjahr- Sommersemester 2020 hat die Universitäten, Hochschulen und vor allem die Studierenden vor erschwerte Bedingungen gestellt. Es freut uns, dass der Umstieg von Präsenzlehre auf digitale Lehre gelungen ist. Uns ist bewusst, welch arbeitsintensive Wochen und Monate hinter Ihnen und den Mitarbeitenden der Universitäten und Hochschulen liegen. An dieser Stelle möchten wir uns im Namen unserer Studierendenschaften für all Ihre Mühen bedanken. Wir schätzen dies sehr und freuen uns darüber im Prozess des Umgangs mit der Pandemie einbezogen zu werden.

Auch die kommenden von Corona beeinträchtigen Semester werden uns vor große Herausforderungen stellen, die es bedarf gemeinsam zu lösen. Wir freuen uns bereits auf weitere, gute und zielorientierte Zusammenarbeit.

Es bleibt unsere Pflicht als Studierendenvertretungen die Interessen der Studierendenschaft zu vertreten und Probleme, die sich aufgezeigt haben anzusprechen. Zwar hat die Etablierung der digitalen Lehre funktioniert, jedoch schleppend und mit unterschiedlichen Erfolgsgraden. Die Lehre war in diesem Semester unterschiedlicher denn je. Der Umstieg auf die digitalen Lehrformate hat an manchen Universitäten und Hochschulen schneller und besser geklappt als an anderen. Vor allem aber sind Unterschiede innerhalb der Hochschulen und Universitäten in Lehrveranstaltungen und Elan der Lehrenden festzustellen. Viele Studierende haben in diesem Semester unter schlecht ausgestalteter digitaler Lehre gelitten, was den Lernfortschritt massiv beeinträchtigt hat. 

Abseits der Unterschiede in der Qualität der digitalen Lehre, ist anzumerken, dass Präsenzformate generell einen höheren Lernerfolg erreichen, als digitale Möglichkeiten dies könnten. Diese Erkenntnis geht unter anderem aus der Studie des MINT-Kollegs hervor. Die direkte Interaktion ist in der Lehre essenziell und kann durch digitale Formate nicht ausreichend bedient werden. Das Fehlen der Interaktion, dem Meinungsaustausch und der aktiven Diskussion in Präsenz beeinträchtigt den Lernerfolg der Studierenden maßgeblich und erschwert es den Studierenden die Inhalte allumfassend aufzunehmen und zu verstehen. Hierdurch entsteht ein hoher Aufwand der Studierenden die Lerninhalte im Selbststudium nach- und aufzuarbeiten.

Des weiteren hat die späte Bekanntgabe der Prüfungsformate und/oder Prüfungstermine im Frühjahrs- Sommersemester dazu beigetragen, dass Studierende sich nicht ausreichend auf ihre Prüfungen vorbereiten konnten. Ungewissheit und Angst vor veränderten Formaten plagten die Studierenden. Durch kurzfristige Änderungen in Bezug auf die Prüfungstermine und der Durchführung mehrerer Prüfungen innerhalb kürzester Zeiträume, war den Studierenden eine umfangreiche Vorbereitungszeit genommen worden. Der Leistungsdruck der Studierenden erhöhte sich durch die Umstände stark und ließ viele sich allein gelassen fühlend und ängstlich zurück. 
Wir begrüßen die Initiative vieler Hochschulen und Universitäten die kurzfristige Abmeldung von Prüfungen zu ermöglichen. Hierdurch wurde der Druck auf die Studierenden gemindert. Gerade durch die Verlängerung der Regelstudienzeiten wurde so mehr Gestaltungsspielraum für Studierende geschaffen. Nichtsdestotrotz ist dies nicht die Lösung auf alles. Viele Studierende haben aufgrund der Umstände ihre Prüfungen auf einen späteren Zeitpunkt geschoben aus Angst durchzufallen. Hierdurch erschweren sich Studierende ihren Studienablauf und haben sich zusätzliche Hürden für die kommenden Semester auferlegt. 

In den kommenden Semestern wollen wir den Studierenden eine bessere Vorbereitungszeit ermöglichen. Um Planungssicherheit zu erhalten, fordern wir bereits zu Beginn des jeweiligen Semesters festzuschreiben, in welchem Format und zu welchem Zeitpunkt Prüfungen absolviert werden müssen. So wird Studierenden die Möglichkeit geboten ihr Studium eigenständig zu planen und sich ausreichend auf die kommenden Prüfungsphasen vorzubereiten. 

Ergänzend zu den oben angeführten Problemen, bleibt auf die Studierenden aufmerksam zu machen, die persönlich von der Pandemie betroffen sind, waren oder möglicherweise noch sein werden. Einige Studierende zählen selbst zu den Risikogruppen, was ihnen ein "normales" Studium und eine "normale" Prüfungsphase in der jetzigen Krise unmöglich macht. Viele Studierende haben ihre Erwerbstätigkeiten verloren und befinden sich aktuell und in Zukunft in schwierigen finanziellen Situationen, teilweise sogar in Existenznöten. Die Finanzierung ihres Studiums und ihre Lebensgrundlage wurden ihnen genommen. Andere Studierende müssen in der jetzigen Krise betroffene Familienangehörige und Freunde pflegen, die an der Pandemie erkrankt sind, oder zu Risikogruppen gehören. Durch den Wegfall von Kinderbetreuung und dem "normalen" Schulalltag sind Studierende mit Kind noch ausgelasteter als unter "normalen" Bedingungen. Sie müssen home schooling betreiben, sich um ihre Kinder kümmern und parallel die Lehre mitnehmen, wie sich auf Prüfungen vorzubereiten. Besonders bedenklich sind hierbei vor allem Studierende, die vor einem Zweit- oder gar Drittversuch einer (Orientierungs-)Prüfung stehen. Die Betroffenen könnten aufgrund ihrer Benachteiligung in diesem Semester und des fehlenden Nachteilsausgleichs in der Prüfungsphase ihren Prüfungsanspruch deutschlandweit verlieren.

Vielerlei Beschwerden haben uns im Laufe der vergangenen Wochen und Monate erreicht. Viele Studierende haben uns von ihren Einzelschicksalen berichtet und ihre schwierigen Situationen eingehend geschildert. Die Studierbarkeit in diesem Semester ist für eine große Zahl an Studierenden nicht gegeben, mindestens für alle stark erschwert worden. Wir sehen es als unsere Aufgabe an erneut darauf aufmerksam zu machen, dass unter den Bedingungen in diesem Semester ein Studium wie gewohnt nicht möglich war, wie es auch in den kommenden Semestern ebenfalls nicht möglich sein wird und fordern somit auf nicht gleiche Bedingungen nicht die gleichen Maßstäbe anzusetzen. Denn unter den aktuellen Umständen die Anforderungen an die Studierenden gleichbleibend zu erhalten, sehen wir als nicht dem Gleichheitsgrundsatz entsprechend an: Die Anforderungen an die Studierenden müssen gelockert und situationsbedingt angepasst werden.

Um den Studierenden in ihrem erschwerten Studium gerecht zu werden, muss gehandelt werden und ein Entgegenkommen passieren. 
Konkret fordern wir an dieser Stelle die landesweite Einführung eines Freiversuches. Studierenden soll die Möglichkeit gegeben werden einen weiteren Prüfungsversuch pro Prüfung zu erhalten. Dies soll die Studierenden von Druck und Umständen entlasten. 
Außerdem wünschen wir uns, dass Studierende frei entscheiden können, ob sie Prüfungen, die sie innerhalb der Coronakrise geschrieben haben erneut absolvieren. Unsere Noten im Bachelor und Master Studium bedingen unsere fortlaufende akademische Karriere. Durch die Umstände verschlechtern sich die Noten vieler Studierender. Den Studierenden dürfen durch die Pandemie keinen Nachteil für ihre spätere Zukunft widerfahren. Aus eben diesem Grund plädieren wir darauf den Studierenden, sofern sie mit ihren erzielten Noten nicht zufrieden sind, eine freiwillige Wiederholung der Prüfung in allen Prüfungen innerhalb der Coronakrise zu ermöglichen.

In Bezug auf die Vergleichbarkeit von Abschlüssen der Studierenden und spezifisch den Gleichheitsgrundsatz bleibt zudem anzumerken, dass aktuell Hochschulen und Universitäten unterschiedlich agieren. Während in manchen Bundesländern, wie Nordrhein-Westfalen oder Bayern, der Freiversuch bereits lange etabliert ist, scheint man sich in Baden-Württemberg nicht einig zu sein. Manche Hochschulen, wie die Hochschulen Esslingen, Mannheim, Aalen, Ravensburg-Weingarten und Heilbronn haben eine Freiversuchsreglung umgesetzt, während andere Hochschulen und auch die Universitäten den Freiversuch bis dato ablehnen. Wir fordern somit dazu auf gemeinsame Reglungen innerhalb Baden-Württembergs zu finden, um die Vergleichbarkeit aufrecht zu erhalten und Ungerechtigkeiten zu verhindern.


Zum Schluss soll noch angemerkt werden, dass zur Einführung des Freiversuchs bereits eine erfolgreiche Petition gestartet wurde, die bereits über 10.000 Unterschriften erhalten hat. Diese ist sowohl an alle Rektor*innen der Hochschulen und Universitäten in Baden-Württemberg gerichtet als auch an Frau Theresia Bauer, Landesministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst selbst. 
Uns ist es wie zuvor mehrfach geschildert ein großes Anliegen landesweit eine für die Studierenden gerechte Lösung zu finden.


Wir bedanken uns an dieser Stelle erneut für alle die Mühen, den Elan und Mut mit denen Sie die Coronakrise an unseren Universitäten und Hochschulen organisiert haben. 
Wir hoffen, dass Sie dennoch die schwierige Situation der Studierenden nachvollziehen können und Verständnis für unsere Forderung aufbringen können. 

Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldung

Mit freundlichen Grüßen 
Die Landesstudierendenvertretung Baden-Württemberg